25.06
2024
06:50
Uhr

Dr. Irme Stetter-Karp

Der Sommer ist da! Zeit zum Sonnen und zum unbesorgt sein. Die Erinnerung an die unangenehm nass-kalten Tage verblasst. Vor einem halben Jahr haben wir das 75. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gefeiert. Und vor wenigen Wochen 75 Jahre Deutsches Grundgesetz! Zwei Meilensteine zur Anerkennung und zum Schutz der bedingungslosen Würde eines jeden Menschen. 75 Jahre, das ist historisch gesehen eine recht kurze Zeit. Und ich frage mich: Sind uns diese beiden historischen Ereignisse auch so selbstverständlich wie die Sonne im Sommer, wo kein Mensch an den warmen Wintermantel denken mag? 

Hand aufs Herz: Hätten Sie sich vorstellen können, dass Rassismus und Rechtspopulismus in Deutschland nochmal so Fahrt aufnehmen könnten? Ich bin ehrlich: Ich nicht. Und diese Entwicklung besorgt mich zutiefst. Es gibt eine Erfahrung, an die ich unwillkürlich denken muss, wenn es um die Frage geht, was mit Menschen in einer Diktatur geschieht. 

Als 19-jährige war ich 1975 für sechs Wochen in Guatemala, um meinen Bruder zu besuchen, der dort als Priester arbeitete. Seit 1960 herrschte in Guatemala ein Bürgerkrieg. Die Massaker vor allem an der indigenen Mayabevölkerung sind international kaum präsent. Ich selbst werde aber nie die irre Angst vergessen können, die ich bei den Menschen im Hochland spüren konnte. Die Begegnungen haben mich nachhaltig geprägt. 

Es sind politische Situationen wie diese, die mich mahnen, die Demokratie nicht zu selbstverständlich zu nehmen. Als Christin bin ich der Überzeugung, dass jedem Menschen als Ebenbild Gottes eine unveräußerliche Würde zukommt. Daraus entstehen seine Rechte als Mensch, ungeachtet von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Sexualität oder Glauben. In meinem persönlichen Umfeld, aber auch als Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, werbe ich dafür, dass wir alle als Menschen guten Willens aufmerksam sind, wo immer Menschenrechte mit Füßen getreten werden – hier und weltweit. Nicht nur jetzt im Sommer, sondern auch im Herbst und Winter – und besonders dann, wenn wir dafür Gegenwind erfahren.