27.06
2024
06:50
Uhr

Marie von Manteuffel

Die EU-Außengrenzen: Immer wieder war ich dort; auf griechischen Inseln, in Libyen. In den berüchtigten Internierungslagern. Hunderte von Menschen sitzen in Libyen in Hallen mit zugemauerten Fenstern, hinter vergitterten Eisentüren, auf dünnen Matratzen. Sie warten, dass zwei Mal täglich Metallschüsseln mit verkochten Macaroni oder trockenem Couscous hereingebracht werden. Alle Insassen stürzen sich auf das dürftige Essen, weil es das einzige ist, was sie an Nahrung bekommen.

Bei meiner Arbeit in medizinischen Hilfsprojekten musste ich erkennen, dass ich in den wenigsten Fällen wirklich etwas erreichen kann. Außer für ein paar Minuten einen „menschlichen Moment“ zu ermöglichen, in dem wir uns in die Augen schauen und von Mensch zu Mensch begegnen.

In diesen Momenten musste ich oft an die Genesis denken:

„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“[1]

Fast 8 Milliarden Menschen auf dieser Erde, jeder und jede einzelne von uns eine kleine Miniatur Gottes. Auch all die Menschen, denen ich in den Lagern begegnet bin.

Wie also können wir so gleichgültig die Achseln zucken, wenn schutzsuchenden Menschen mal eben so die Menschenrechte abgesprochen werden? Wenn Menschen auf europäischem Boden eingesperrt werden oder eben von der EU-finanziert außerhalb Europas. 

Wer sagt denn, dass man nicht selbst plötzlich zu einer Gruppe gehört, die von anderen ausgeschlossen wird? 

Ich wünsche mir, dass wir uns klar machen, dass es uns selbst nur weiter gut gehen kann, wenn es allen Menschen besser geht. Das ist doch die Grundidee der menschlichen Würde – für Christinnen und Christen die Gottesebenbildlichkeit – sie gilt für alle. Oder für keinen. 

Ich habe noch meine Mutter im Ohr, die oft sagte: „Im Christentum ist kein Platz für Egoismus. Gott hat uns geschaffen und bleibt bei uns als Gegenüber. Es kann also nie nur um uns selbst gehen, weil wir im Kern immer das Gegenüber mitdenken: Gott in jedem Menschen, dem wir begegnen.“

Lassen Sie uns unsere eigene Würde, unsere Gottesebenbildlichkeit in Ehren halten und damit auch die aller anderen Menschen. Lassen Sie uns die Gleichgültigkeit überwinden und dafür einstehen, dass in einer lebendigen Demokratie die Menschenwürde ein unantastbares Gut bleibt – für alle Menschen.

 


[1] Gen 1,26f.