Fast jeder kennt das Wort zum Sonntag. Es ist die zweitälteste Sendung im öffentlich-rechtlichen Programm gleich nach der Tagesschau. Wenn ich Menschen darauf anspreche heißt es oft: „Wort zum Sonntag – guck ich eigentlich nie, aber…“ Die Älteren unter uns kennen noch die Parodie des Komikers Otto Waalkes, die so begann: „Theo, wir fahr‘n nach Lodsz…was wollen uns diese Worte sagen?“ Das Wort zum Sonntag hat gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert.
Manche ärgert die Kirchensendung im Samstagabendprogramm, andere stört sie nicht: eine kurze Pause, um nach den Tagesthemen Chips und Getränk aus der Küche zu holen. Wieder andere tröstet es, gibt einen Gedankenanstoß, berührt. Ein Mensch steht da allein vor laufender Kamera mit nix als der eigenen Stimme und seinem Gesicht und seinem Glauben. Es fordert Mut, jenseits schützender Kirchenmauern so zu predigen und bringt mehr Spott und Hass als Ruhm. Mittlerweile gibt es sogar ein Schutzkonzept für Sprechende, die Drohungen erhalten. Oft sind es Frauen, eine davon Mechthild Werner: Sie begann ihr Wort zum Sonntag am 19. Mai 2001 mit einer lebensgroßen Sexpuppe im Arm und den Worten: „Das ist Maria – offen für alles, für jeden zu gebrauchen.“
Fast 30 Jahre früher, am 16. März 1974, sprach die Berliner Politikerin Hanna-Renate Laurien ein energisches katholisches Wort, in dem sie gegen den §218 Position bezog.
Das Wort zum Sonntag lebt von unterschiedlichen Sichtweisen. Die Sprecherinnen und Sprecher kommen aus Bayern oder Sachsen-Anhalt, vom Dorf oder aus der Großstadt. Sie sind katholisch oder evangelisch, jung oder alt. Konservativ oder liberal.
Ich durfte auch mal. Eins meiner ersten Worte zum Sonntag sprach ich in einem Misthaufen: drei Stunden Stehen in Kälte und Güllegeruch. Danach habe ich das Gleichnis vom verlorenen Sohn, um das es ging, tatsächlich erst verstanden.
70 Jahre Wort zum Sonntag, das ist ein Stück Zeitgeschichte, ein geistlicher Kommentar zu prägenden Ereignissen unserer Geschichte: Mauerbau und Mauerfall, RAF-Terror und 9/11 – und daneben natürlich auch zu den großen und kleinen Fragen unseres Lebens: Leben und Sterben, Krankheit und Tod, Liebe und Vergebung. Und immer wieder auch Gebet und Segen, ein Break im Wahnsinn des Tages. Herzlichen Glückwunsch, Wort zum Sonntag.