Es gibt Geschichten der Bibel, da wünschte ich, sie wären nie geschrieben worden.
Die Beinahe-Opferung Issacs gehört für mich dazu:
Gott versucht Abraham. Er will prüfen, ob der ihm bedingungslos Folge leistet. Also befiehlt er ihm, auf einen Berg zu steigen, dort soll er seinen einzigen Sohn opfern. Abraham geht los. Den kleinen Isaac an der Hand. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn sich eine warme Kinderhand vertrauensvoll in die eigene schiebt. Das ist das Größte, was es gibt. Isaac liebt seinen Vater. Selbst als der ihm befiehlt, sich auf den Opferaltar zu legen, tut er es. Der Vater kann ihm ja nichts Böses wollen.
Ich finde diese Geschichte unerträglich - obwohl ich weiß, dass sie am Ende vermeintlich gut ausgeht. Abraham hat das Messer schon gezückt, da kommt im allerletzten Moment eine Stimme aus dem off: Ne tikra – heißt es auf Hebräisch: Rühr` ihn nicht an! Und Abraham gehorcht Gott, verschont den Sohn und opfert stattdessen ein Tier.
Nein, nichts ist gut an dieser Geschichte, auch der unerschütterliche Glaube Abrahams nicht. Doch selbst, wenn sie nicht in der Bibel stünde, wäre nichts gut, denn es gibt ja solche Geschichten im wahren Leben. Es gibt Väter und Mütter, die ihren Kindern etwas antun. Es gibt Menschen, die sich an Schutzbefohlenen vergreifen, sie missbrauchen, quälen, ja töten. Es gibt Männer und Frauen, die die Liebe und das Vertrauen von Kindern eiskalt ausnutzen. Und darum braucht es wahrscheinlich doch zumindest diese beiden Worte - groß und Rot über jedes Kind geschrieben: Ne tikra! Rühr es nicht an! Dein eigenes Kind nicht und überhaupt kein Kind - nirgendwo auf der Welt. Kinder sind ja im wahrsten Sinne des Wortes Schutzbefohlene – und zwar von uns allen.
Das gilt nicht nur heute am Welttag gegen sexuelle Ausbeutung, Kindesmissbrauch und Gewalt gegen Kinder. Es gilt immer und überall. Der Schriftzug gehört auch an Kirchen und Gemeinderäume, denn auch da waren und sind Kinder nicht automatisch sicher vor Missbrauch und Gewalt. Diese Geschichte mag dazu beigetragen haben.
Es fängt an, wo gebrüllt und mit Worten niedergemacht wird. Es geschieht, wo ein Kleinkind am Arm hochgerissen wird. Es endet mit dem Unaussprechlichen. Diese Geschichte spricht es aus.
Zwei Worte reichen am Ende: Ne tikra! Rühr es nicht an! Bleiben wir achtsam, und mischen wir uns ein.