Man vergisst es oft im Leben: Mitten am Tag, während ich die Zähne putze oder auf dem Wochenmarkt einkaufe, während ich ins Kino gehe oder spazieren, während ich also ganz normal mein Leben lebe, stirbt irgendwo ein Mensch, sterbe irgendwann auch ich. Hinter Fenstern in der Großstadt, in den Häusern auf dem Land wird nicht nur geliebt und gelacht, gestritten oder ferngesehen, es wird auch gestorben. Zuhause, im Krankenhaus oder Hospiz. Manchmal geht es schnell, oft dauert es lange.
Angehörige, Pflegende oder Freunde halten vielleicht die Hände, tupfen den Schweiß, befeuchten die Lippen, flüstern leise. Und dann ist es plötzlich still im Sterbezimmer, während anderswo das Leben weitergeht, das so kostbar und endlich ist.
An all die Menschen, deren Leben jetzt gerade zu Ende geht – an diejenigen, die dafür sorgen, dass Menschen würdevoll und so schmerz- und angstfrei wie möglich aus dieser Welt gehen können, an alle, deren Herz vor Trauer gerade bricht, denke ich jetzt. Wir tun es viel zu selten. Heute ist ein guter Tag – zwischen einem normalen Sonnabend und Ewigkeitssonntag, wie der Totensonntag morgen im christlichen Kirchenjahr heißt.
Ich berge mich in diesem Tag, denn ich habe einen Menschen verloren in diesem Jahr, der ein Teil von mir war. Es ist wie ein Schnitt, der durch mein Leben geht, und ich bin aus dem Tritt geraten. Ich irrlichtere irgendwie durch mein Leben und blicke wie eine Fremde auf das Gewohnte. Die letzten Stunden stehen mir vor Augen – das Unfassbare, das geschieht, wenn der Tod den Raum betritt. Ich werde ein Licht am Grab anzünden, ein Ort, wo die Trauer Raum hat und die nötige Ruhe.
Ja, wir sind dazwischen: zwischen Tod und Ewigkeit. Um den Tod weiß ich – auf die Ewigkeit hoffe ich. Und weil mir die Worte dafür fehlen, nehme ich sie aus einem Gebet von Dietrich Bonhoeffer, das uns verbindet mit unseren Toten. Es mag sie begleiten, falls auch sie trauern und dazwischen sind wie ich:
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht.
Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.