Heute ist der Tag der Hausmusik. Es gehört zu den intensivsten Erinnerungen aus meiner Kindheit: Ich stehe im Treppenhaus eines Berliner Mietshauses – irgendwo auf dem Treppenabsatz zwischen 3. und 4. Etage zusammen mit drei meiner Cousins und Cousinen. Zwei spielen Flöte, einer Klarinette, die vierte Posaune. Wir blasen vierstimmig einen Choral: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren… Nach und nach gehen Türen zu den einzelnen Wohnungen auf. Endlich auch die zur Wohnung ganz oben. Mein Großvater erscheint im Türrahmen, dahinter die Großmutter. Sie hat die Küchenschürze umgebunden und tupft sich mit dem Geschirrtuch ein paar Tränen der Rührung aus den Augen. Auch mein Großvater ist ergriffen. Er atmet tief, dann nimmt er Haltung ein. Schließlich ist es sein achtzigster Geburtstag. Das war das schönste Geschenk, das ihr mir machen konntet, wird er später immer wieder sagen.
So wie es der Liedermacher Reinhard Mey in einem seiner Lieder singt: Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht…
Hausmusik ist wunderbar – auch wenn sie manchmal nervt. Wenn der Nachbar über mir zum Beispiel gerade dann in die Tasten greift, wenn der Tatort anfängt oder die Blockflöte von nebenan einfach nicht den Ton trifft. Leider ist das gar nicht mehr so oft der Fall. Die Zahl der Musizierenden an den Musikschulen geht konstant zurück. Musik wird zwar viel gehört, aber immer weniger gemacht. Das ist schade. Wie sagte mein Klavierlehrer damals, als mich der Mut zum Üben verließ: Musik ist die Sprache, in der du dich immer ausdrücken kannst. Darum gibt`s in der Kirche Gesangbücher und Chöre – jeder kann mitmachen. Darum stehen schon in der Bibel Lieder, die seitdem zum Sprachrohr für alle menschlichen Empfindungen dienen: Liebe, Trauer, Wut und Enttäuschung, ja auch Hass. Sie wurden getrommelt, gezupft und geflötet. Das klang sicher manchmal auch schief, hat aber Menschen immer wieder aufgerichtet.
Meine Großeltern leben lange schon nicht mehr. Der Choral wird weitergesungen – in unendlich vielen Sprachen weltweit. Vielleicht auch im Himmel, denn so geht er weiter: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, lob ihn, o Seele, vereint mit den himmlischen Chören. Ein gewaltiger Klang – ich da unten – meine Großeltern da ganz oben. Überall Musik - das schönste Geschenk, das Gott uns macht.