Hildegard von Bingen lebte im Hochmittelalter und ist damals eine höchst ungewöhnliche Frau. Umfassende Gelehrte, Nonne und Äbtissin, Mystikerin. Auch außerhalb der Kirche ist sie bis heute sehr bekannt, durch ihre Naturheilkunst, als Künstlerin und Komponistin. Und sie ist eine frühe Naturforscherin. Sie beobachtet das Wachsen und Gedeihen in der Natur, bei Pflanzen, bei Tieren. Und das Wachsen und Gedeihen der menschlichen Seele. Auch die Veränderungskraft. „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün. schreibt Hildegard von Bingen. Aus dem lateinischen Wort „viridis“ für die Farbe „Grün“ leitet sie einen neuen Begriff ab: „Viriditas“: Auf Deutsch etwa: Grünkraft.
Diese „Grünkraft“ sieht Hildegard in der gesamten Schöpfung wirken. Bei Pflanzen, Tieren, bei Steinen und Mineralien, im Wasser, in der Luft, in der Erde, am Himmel. Ja, im gesamten Kosmos. Und eben auch beim Menschen, als Teil des Universums. Die Grünkraft will Wachstum, Leben, Lebendigkeit. Und sie drängt mit großer Kraft ans Licht, auch durch Widerstände und Hindernisse hindurch. Bestimmt haben Sie schon mal gesehen, wie kraftvoll ein zartes Pflänzchen sogar Asphalt durchdringt.
Die Grünkraft und der Heilige Geist – das ist für Hildegard von Bingen praktisch das Gleiche. Heiliger Geist - Geist des Lebens. Überall wirkt er, in der Kirche, in der Gesellschaft, in jedem einzelnen Menschen. Und in der Natur. Heute wissen wir, dass fast alle Pflanzen für uns lebensnotwendigen Sauerstoff produzieren. Dass Bäume Duftstoffe absondern, ein Cocktail aus für Menschen höchst gesunden Substanzen. Dass ein Waldspaziergang wie von selbst Stresshormone abbaut. Nicht umsonst ist inzwischen „Waldbaden“ ein absoluter Trend. Nicht nur in der Naturheilkunde.
Der Wald, die Grünkraft ist also Lebenskraft pur. Lebenskraft, die nie versiegt, „Kraft aus der Ewigkeit“, wie Hildegard von Bingen schreibt. Für sie ist klar: Das Leben ist einfach stärker als der Tod.