„Früher war alles besser!“ Ich zucke zusammen. Das geht mir immer so, wenn ich diese Worte höre: „Früher war alles besser!“ Dieses Mal allerdings zucke ich ein bisschen mehr als sonst: Habe tatsächlich ICH das gerade gesagt? Bin ich jetzt in dem Alter?
Als ich klein war, war das der regelmäßige Seufzer meines Großvaters. Ich seh ihn noch vor mir, meinen Opa: Er steht am Zaun, trägt eine blaue Trainingshose und ein weißes Feinrippunterhemd, im Mundwinkel hängt eine Zigarette, er kneift die Augen zusammen, weil der Rauch in den Augen brennt und seufzt: „Früher war alles besser!“
Ich hab mich ja dann immer gefragt, wann eigentlich früher war. Als er so alt war wie ich?! Da war gerade der 1. Weltkrieg vorbei, und in Berlin waren die Zeiten nicht gerade rosig. Oder war früher, als er ein junger Kerl war, so 18,19 Jahre alt? Da wurde er eingezogen und kam nach ein paar Wochen mit einem kaputten Knie von der Front. Oder war früher, als seine erste Frau ihn verlassen hatte und er mit einem Kind allein dastand? Oder war „Früher“, als die Stasi sein Telefon abhörte, das er als Stickmeister schon in frühen DDR-Zeiten haben durfte. Tja: Wann war für meinen Opa eigentlich das „Früher“, in dem alles besser war? Ich hab‘s als Kind nie verstanden. Als Jugendliche hat es mich nicht weiter interessiert und als ich erwachsen genug war, war mein Opa dann tot.
Und jetzt hör ich mich original Opas Worte sagen. Mit Trainingshose, aber ohne Zigarette steh ich an meinem Gartenzaun und beginne zu ahnen, dass das „Früher“ von dem er sprach, nie existiert hat. „Früher“ ist mehr so ein Gefühl, so eine Sehnsucht und kein konkreter Zeitpunkt.
Als Mittvierzigerin, als Frau und als Christin gibt’s für mich gerad keine andere Zeit, in der ich lieber leben möchte, als diese. Ich lebe gern im Jetzt und Hier. Und das heißt nicht, dass jetzt grade und hier in Brandenburg alles gut ist. Aber ich weiß ganz genau, dass es diesen angeblich perfekten Zustand auch früher nie gegeben hat.
Ich hab mir vorgenommen, mich in puncto Spruchweisheiten nicht nach meinem Opa zu richten. Statt „Früher war alles besser“ halt ich es mit Oscar Wilde. Der starb viel zu früh, ließ sich aber noch auf dem Sterbebett taufen. Sein Motto war: Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Das ist besser, finde ich!