„Ist das Wasser zu kalt?“ Die Dame auf dem Frisierstuhl verneint. Ihr Kopf hängt rückwärts im Waschbecken, und sie antwortet: „Kann gar nicht zu kalt sein. Ich dusche schon seit Monaten nicht mehr warm.“ Der junge Mann, der gerade begonnen hat ihren Kopf einzuseifen, hält irritiert inne. „Ist ihre Heizung kaputt?“, fragt er besorgt. Sie lacht: „Nein, ich hab aufgehört heiß zu duschen, als Putin die Ukraine überfallen hat. Da gings doch um Energiesparen und so. Und inzwischen hab ich mich echt dran gewöhnt.“
Bei meinem Lieblingsfriseur sind nun alle anderen Gespräche verstummt. Man beginnt über den Sinn von warm oder kalt duschen, übers Immunsystem, Energiesparen und schlussendlich über den Frieden zu diskutieren. Ich geh echt gern zum Friseur, aber so interessant wars selten.
Was denn der Einzelne überhaupt tun könne für den Frieden? Und andersherum, ob es nicht am Ende eben doch an jedem Einzelnen hänge. Und dass wir niemanden beneiden, um die Entscheidung, ob und wenn ja wie viele Waffen man der Ukraine schickt. Und dass die Landtagswahlen in dieser Sache echt weit weniger entscheidend sind als die Bundestagswahlen nächstes Jahr. Eine Kundin outete sich sogar als Christin und betont, wie sehr friedliche Lösungen bewaffneten Konflikten vorzuziehen seien – und wie wir doch gleichzeitig auch Verantwortung füreinander auf dieser Welt trügen.
„Was für eine Zwickmühle“, seufzt der Friseur. So ging es eine Stunde hin und her in wunderbar friedlicher Atmosphäre, obwohl bei weitem nicht jeder Kopf mit den anderen einer Meinung war. Insgesamt konnte man das Gefühl bekommen, hätten nur wir in dem Friseurladen gestern gewählt, ...wer weiß... Aber es ist natürlich auch viel leichter, wenn man keine politische Verantwortung trägt. Und gleichzeitig ist das Miteinander-Reden wohl der erste kleine Schritt für ein gutes Miteinander auch im Großen.
Das Schlusswort dieses Friseur-Salon-Gesprächs hatte die Kaltduscherin vom Anfang: „Ich bleib dabei. Kalt duschen erinnert mich, jedes Mal daran, wie wertvoll Frieden ist und wie wenig selbstverständlich.“
Muss ich erst zum Friseur gehen, um mich daran zu erinnern…