Neulich stand schon wieder jemand vor der Tür, mit einem größeren Karton. „Hier von meinem Vater!“ Das können Sie doch bestimmt gebrauchen. Die sind auch schon ganz schön alt. Er will sie nicht wegschmeißen, dazu sind sie zu schade. Ich hab ihm versprochen, dass ich sie herbringe.“ – so oder so ähnliche Gespräche habe ich ein paar Mal im Jahr. Dann stehen Menschen vor mir und bringen mir ihre Bücher. Oft alte Bücher, meist aus dem 19. Jahrhundert. Bibeln, oder auch Gesangbücher und Andachtsreihen. Noch in Sütterlin gedruckt. Und dann stehe ich da, mit einem neuen Karton in der Hand und bin hin und her gerissen: Auf der einen Seite merke ich: alte Bücher sind Menschen wichtig und selbst, wenn sie mit ihnen nichts mehr anfangen können, scheuen sie sich, sie wegzuwerfen. Heilige Bücher, wie Bibeln, dafür haben Menschen ein Gespür, die einfach in die blaue Tonne zu tun, das fällt vielen schwer. Irgendwie freut mich das. Aber manchmal ärgere ich mich. Schließlich bin ich kein Archiv, auch in der Kirchengemeinde ist der Abstellraum knapp und so spannend ist eine Bibel von 1857 auch nicht, davon braucht niemand 6 Exemplare in verschiedenen Größen, der Inhalt ist in aktuellen Bibeln derselbe und leichter lesbar, die Lieder in den alten Gesangbüchern singt keiner mehr, die Texte sind manchmal etwas gruselig, und die Frömmigkeit in den alten Andachtsbüchern unterscheidet sich doch sehr von meiner heute.
Und doch: Oft schlage ich sie dennoch auf, die alten Bücher. Verliere mich in ihrem sorgfältigen Druck und dem alten Papier. Tauche noch mal ganz anders in die Schrift voller Serifen und fast scheint es als würde das Alter, die Schrift und Duft von altem Papier die Worte verändern. Diese alten schweren Worte, die ich heute im Alltag nicht mehr verwende: Gnade, Barmherzigkeit, Güte – große, schwere Worte voller Bedeutung. Die Gnade Gottes sei mit euch allen – fühlt sich für mich in altdeutschem Druck richtig an und in dieser modernen Schriftart Arial sieht Gnade komisch aus. Es scheint die Kringel und Serifen und das Komplizierte des altdeutschen Drucks zu brauchen. Es klingt ganz weich und angenehm und zugewandt. Und dabei habe ich mich noch gar nicht damit beschäftigt was es wirklich für mich bedeutet. Oder reicht das schon: der Klang und das Layout des Wortes? Vielleicht muss ich es nur öfter benutzen, diese alten Wörter um sie neu und für mich mit Inhalt zu füllen und auch in Arial zum Strahlen zu bringen: „Die Gnade Gottes sei mit euch allen“ auch heute.