„Hast Du was, dann bist Du was!“ Vielleicht kennen Sie dieses Sprichwort. Von meinen Eltern habe ich es vor Jahrzehnten öfter mal gehört – aber, ehrlich gesagt: Mir scheint: Heute ist es für viele aktueller denn je.
Darum bin ich froh, dass ich in meinem Bücherschrank etwas habe, dass diese Denkweise ganz schön aufs Korn nimmt. Es ist das Buch „Haben oder Sein?“ von Erich Fromm. Genauer gesagt: Ich besitze sogar zwei Exemplare – ein altes, abgenutztes und ein neues.
Das zerlesene Exemplar, erinnere ich mich, ist durch viele Hände gegangen. Menschen, denen ich vertrauen konnte, habe ich dieses Buch geborgt. Die haben es dann sorgfältig in Zeitungspapier eingeschlagen, um es vor allzu neugierigen Blicken zu schützen. Erich Fromm, der Sozialphilosoph aus Amerika, galt in der DDR nämlich als Persona non grata: als Wissenschaftler auf Abwegen.
Warum das so war? Die Antwort darauf lässt sich schon auf der allerersten Seite seines Buches entdecken. Da finden sich nämlich Zitate von dem Mystiker Meister Eckhart und von Karl Marx gleich untereinander. Mir, dem damaligen Theologiestudenten, der sich das Buch auf abenteuerliche Weise aus dem „Westen“ besorgt hatte, half es mit jungen Leuten, mit Sinnsuchern, Skeptikern, Gläubigen und Nichtgläubigen, ins Gespräch zu kommen.
Damals hat der Text Menschen geholfen, ein freieres und reicheres Leben zu führen. Und heute? Die Grundfrage „Haben oder Sein?“ hat sich auch 125 Jahre nach Fromms Geburt, der zunächst Rabbiner werden wollte, dann aber seinen Glauben ablegte, nicht erledigt. Wir leben in einer Gesellschaft, die mit Angst, Gier und Einsamkeit zu kämpfen hat – wo das menschliche Miteinander kostbar ist.
„Die Gier ist immer das Ergebnis tiefer Enttäuschung.“, habe ich mir in dem zerlesenen Buch angestrichen. Weiter heißt es: „Ob es um die Gier nach Macht, nach Essen oder etwas anderem geht, die Gier ist immer das Ergebnis einer inneren Leere.“
Ich finde, manchmal klingt der Wissenschaftler Erich Fromm wie ein spiritueller Lehrer.