15.10
2025
06:50
Uhr

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“

Von einem überraschenden Fund

Ein Beitrag von Thomas Brose

„Fröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen, andern Freude bringen, ja, das lieben wir.“ So lautet die erste Zeile eines Liedes, das ich fast vergessen hatte. Ganz unerwartet ist es mir in einem Pappkarton am Straßenrand wiederbegegnet. Zwischen lauter Sachen, die irgendjemand dort, gut sichtbar, deponiert hatte, kam es zum Vorschein: Mein altes Musikbuch. 

Und plötzlich ist die Erinnerung wieder da! Wie wir als Kinder zum Fahnenapell antreten müssen, die einen mit, die anderen ohne Halstuch, weil sie nicht an die Fahne, sondern an etwas anderes glauben.

Religion wurde in meiner Kindheit kritisch beäugt. Fröhlich zu sein, weil man sich als geliebtes Kind Gottes versteht, war für Junge Pioniere selbstverständlich keine Option. 

Doch gerade in dieser Enge, zwischen vorgegebenen Liedern und verbotenen Glaubenswegen, lernte ich etwas Kostbares: Die Sehnsucht nach echtem Neuanfang, nach der Freiheit, selbst zu entscheiden. Diese Sehnsucht teile ich mit vielen. 

Für den Gedanken, dass mit Geburt und Kindsein Freiheit in die Welt kommt, hat sich auch die jüdische Denkerin Hannah Arendt begeistert. Sie spricht von dem „Wunder“, dass Menschen „überhaupt geboren werden, und dass damit ein absoluter Neuanfang verbunden ist.“ Sie sagt weiter: Nur wo so ein Anfang persönlich erfahren wird, kann es „Glaube und Hoffnung“ geben – Grundlagen des Menschseins. Und sogar Friedrich Nietzsche, der das Gegenteil von einem religiösen Schwärmer war, erklärt: Um glücklich zu sein, muss der Mensch weder duldsam wie ein „Kamel“ oder wild wie ein „Löwe“, sondern gelassen wie ein „Kind“ sein, das selbstvergessen im Sand spielt.

Jesus hat nicht gesagt: Wer glaubt, muss zuerst kindisch werden. Vielmehr sieht er, dass jeder Mensch – unabhängig vom Alter – über die Möglichkeit verfügt, neu anzufangen. Nicht mit Halstuch, nicht mit erzwungenen Liedern, sondern aus eigener, freier Entscheidung.

Vielleicht können Sie diese Erfahrung des Neuanfangs, liebe Hörerinnen und Hörer, heute auch machen. Ohne blaues Halstuch, aber mit derselben kindlichen Offenheit für das, was möglich ist.