Ob Gott auch Höhenangst hat? Das habe ich mich früher oft gefragt, weil Gott ja angeblich im Himmel wohnen sollte und von da oben runter sieht auf uns Menschen. Seit ich Kind war, ist das meine größte Angst: die Höhenangst. Ich konnte früher kaum auf Stühle klettern, schon zitterten mir die Beine. Schwebebalken im Sportunterricht, völlig unmöglich! Zitternd stand ich oben, der Balken wirkte wie eine dünne Spaghetti, der ich wohl kaum vertrauen konnte. Ich stand völlig starr und konnte mich vor Angst kaum bewegen. Um mich langen zwar dicke, weiche Matten, aber das half nicht. Die Angst hatte mich voll im Griff. Und auch heute ist sie noch ein ständiger Begleiter, sobald ich irgendwie nach oben muss.
Als meine Patenkinder mich also fragten, ob ich mit ihnen bouldern gehen würde, war meine Begeisterung nicht besonders groß. Bouldern ist Klettern ohne Seil in Absprunghöhe, immerhin bis zu vier bis fünf Meter hoch. Statt Seil und Gurt gibt es dicke Matten am Boden zur Sicherung. Ganz wie beim Sportunterricht, denke ich.
Als wir in die Boulderhalle gehen, üben wir zuerst einmal fallen. Das ist ganz wichtig, erklärt meine Partnerin den Kindern. Sie ist eine geübte Boulderin und weist uns ein. Immer mit rundem Rücken abrollen, das verringert das Verletzungsrisiko. Wenn das so einfach wäre, denk ich mir.
Aber da flitzen die Kinder schon los, sie gehen sprichwörtlich die Wände hoch, und ich stehe ganz beindruckt unten. Mehrere Stunden schaue ich mir einfach nur an, wie sie immer neue Routen meistern, und schließlich fasse ich mir ein Herz und trete selber an die Boulderwand. Ich nehme den ersten Griff und fühle ihn in meiner Hand, dann stoße ich mich ab. Ich klettere – Schritt für Schritt, Griff für Griff – und spüre dabei plötzlich:
Ich bin sicher. Da ist Halt. Ich habe Kraft. Und falls sie ausgeht, werde ich aufgefangen, lande weich. Ich bin gehalten. Gott wohnt nicht im Himmel, sondern vielleicht gerade hier in dieser Boulderhalle.