Ein ausgedecktes Blatt Spielkarten, das eine Vielzahl von Karten zeigt, darunter verschiedene Buben, Könige und Asse. Die Karten sind in zwei Farben gestaltet: Rot für Herzen und Diamanten sowie Schwarz für Pik und Kreuz. Ein Handanschnitt hält die Karten, die schräg angeordnet sind.
06.10
2025
06:50
Uhr

Kein Pöbeln, nur Tee und Mau-Mau: Eine Zugfahrt wie aus der Zeit gefallen

Ein Beitrag von Juliane Rumpel

„Unsere Weiterfahrt verzögert sich um unbestimmte Zeit. Grund dafür ist…“ Den Grund erfahren die Fahrgäste des RE7 heute nicht, denn die Stimme des Zugbegleiters bricht an dieser Stelle ab.

Ich sitze im Regionalexpress Richtung Dessau und hoffte zum Abendessen zuhause zu sein. Die Wahrscheinlichkeit ist soeben rapide kleiner geworden. Vor dem Fenster  Wiesen und Felder und darüber ein wunderbarer Sonnenuntergang. Es ist bereits Abend. 

Dass ich zu spät zum Essen komme, ist die eine Sache. Mehr Sorgen macht mir, dass sicherlich gleich einer im Zug zu pöbeln beginnt, dass es mit der Bahn nun wirklich zu Ende geht und dass in Deutschland gar nichts mehr läuft. Immer, wenn es Probleme mit der Bahn gibt – und ich geb zu, die Vorfällen häuften sich– immer, wenn es Probleme mit der Bahn gibt, bekommt man im Zug das Gefühl, nun seien wir wirklich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes angekommen, der Untergang Deutschlands stehe unmittelbar bevor.

Hier und heute allerdings kein Pöbler weit und breit. Im Gegenteil. Meine Sitznachbarin gießt sich noch einen Tee aus der Thermosflasche ein und merkt an. „Dann schaff ich den Roman heut noch, komm ja immer nur im Zug zum Lesen!“ 

Im Viererabteil gegenüber packt einer Spiel-Karten aus und überredet seine Mitfahrer zum Mau-Mau-Spielen. Ernsthaft? Ich überlege, wann ich das letzte Mal Karten gespielt habe und wie es dazu kommt, dass einer überhaupt Karten dabei hat. Sind wir in den 80gern?!

Nein, denn ein wenig weiter vorn hört man, dass eine paar Menschen „Imposter“ miteinander spielen und dafür braucht man Netz, nix 80ger also.

Aber ein bisschen aus der Zeit gefallen, komm ich mir schon vor in diesem Zug. Keine Meckerei, totale Langmut und dann reden die Menschen auch noch miteinander. Wirkt, als wäre ich nicht nur aus meiner Zeit, sondern auch aus meinem Land gefallen.

Ich tue, was ich immer tue, wenn es mal wieder länger dauert: ich mach die Augen zu und falle sofort in einen tiefen Schlaf. 

Als ich 2 Stunden später meinem Mann am Abendbrottisch von meiner abgefahrenen Zugfahrt berichte, ist mir nicht mehr ganz klar, ob ich das alles nur geträumt habe oder ob es so passiert ist. Ich hoffe letzteres und freu mich schon auf meine nächste Zugfahrt!