„Hamse mal wieder Besuch?“ Mein Neffe, der gerade zu Gast ist bei mir, schaut mich überrascht an und ich merke mal wieder, wie sehr ich schon daran gewöhnt bin, dass mein Nachbar mir auf den Balkon schauen kann. Anders mein Neffe. Er blickt meinen Nachbarn, der mit der Kaffeetasse in der Hand interessiert zu uns rüber schaut, irritiert an.
„Ah, Besuch, der Hausuffjaben machen muss, wa? Wat is denn dran?“ Da ich weiß, dass mein Nachbar keiner ist, der schnell aufgibt (oder merkt, wenn‘s unpassend ist), sage ich kurz angebunden: „Deutsch, Sprichworte!“
„Watn, watn, musste dir welche ausdenken?“ „Nein“, mischt sich der Neffe jetzt selber ein, „ich muss Sprichwörter sammeln und rausfinden, wo sie herkommen.“
„Und?“, fragt es von nebenan, „Wat haste bis jetzt?“
„Der frühe Vogel fängt den Wurm…“ „Der frühe Vogel kann mir mal!“, tönt es von nebenan.
Dann wird die nachbarliche Stimme ernst: „Wenn de mich fragst, junger Mann, haste doch die Expertin für Sprichworte neben dir sitzen.“ Jetzt werde ich hellhörig. Der Nachbar hat immer eine Überraschung parat. „Ick mein ja nur, jibt doch so viele Sprichworte, die aus der Bibel sind, oder? So wat wie: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Oder…“
Mein Neffe schaut mich fragend an und ich staune selber, dass ich da nicht früher drauf gekommen bin. Gibt tatsächlich so einige Bildworte, die ihre Wurzeln im Alten und Neuen Testament haben. Jemanden auf Herz und Nieren prüfen zum Beispiel. Oder: Von Pontius zu Pilatus rennen. Oder eben auch besagtes: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!
Mein Neffe ist happy, so viele Sprichworte, die alle dieselbe Quelle haben. Wir finden dann auch noch heraus, dass das Tohowabohu aus der Bibel stammt, genauso wie „jemandem die Leviten lesen“.
„Wollta noch wissen, wat mein Lieblingssprichwort aus der Bibel is?“ War natürlich rhetorisch gemeint diese Frage von nebenan, denn ohne eine Antwort abzuwarten, fährt mein Nachbar fort: „Der Mensch denkt und Gott lenkt! Kannste noch so viele Pläne schmieden, meistens kommtet eh anders.“
„Und in der Vergangenheitsform wirds erst richtig gut!“, ich grinse und der Nachbar stutzt: „Wieso?!“ „Naja, der Mensch denkt und Gott lenkt, der Mensch dachte und Gott…“ „Lachte,“ prustet der Nachbar los und verschluckt sich fast an seinem Kaffee.