© Bernd-Christoph Matern / fundus-medien.de
14.09
2024
06:50
Uhr

Krippenspiel

Ein Beitrag von Olaf Trenn

„Was sind Sie eigentlich von Beruf?“
Obwohl ständig Unruhe herrscht im Krankenzimmer: 
Temperatur und Puls messen, Flexüle wechseln, Tropf anlegen und abnehmen, 
Zimmer wischen, Essen bringen und wieder abholen, nach Essenswünschen fragen, 
Visite, Verwaltungsangelegenheiten, Krankenbesuche…
wird mir der Alltag im Krankenhaus eher lang.
Da gehören die kurzen Gespräche mit den Schwestern und Pflegern 
zu den Höhepunkten meines Aufenthalts.

„Was sind Sie eigentlich von Beruf“, fragt mich Pfleger Joern.
Er kämpft mit dem Fieberthermometer, das er mir ins Ohr stecken will 
und das aus unerfindlichen Gründen seinen Geist aufgegeben hat. 
„Pfarrer“, antworte ich und setze hinzu: „evangelischer Pfarrer“.
Meine Antwort erinnert mich an den Helden des britischen Kinos:
„Bond, James Bond“ – auch wenn mir momentan nicht klar ist, 
warum mir gerade das ‚evangelisch‘ vor ‚Pfarrer‘ wichtig erscheint.

Pfleger Joern hilft mir auf die Sprünge: „O, das ist gut“, antwortet er, „da dürfen Sie heiraten.“ „Hab ich auch“, erwidere ich und überlege, ob wir geheiratet haben,
weil ich evangelisch bin oder ob wir andere Gründe dafür hatten.

Pfleger Joern lässt mir keine Zeit für weiterführende Gedanken: „Wir gehen Weihnachten in die Kirche. Krippenspiel. Das liebe ich. Und dann die Weihnachtsgeschichte. Unser Pfarrer braucht ja kein Mikrofon, der dröhnt die alten Worte durch die ganze Kirche: ‚Es begab sich aber zu der Zeit‘…“, „…‘dass ein Gebot von Kaiser Augustus ausging‘“, führe ich den Satz weiter und hoffe, dass meine Stimme dabei tief und volltönend klingt –im Bett liegend und im Pyjama.

„Ich bin übrigens katholisch“, sagt Joern und schnippst nacheinander 
mehrere der kleinen Plastik-Schutzkappen von der Spitze des widerspenstigen Thermometers. Dann fügt er hinzu: „Die Messe ist wie ein einziges Krippenspiel!“.

Mein Interesse ist geweckt. Das wäre es doch: Jeder Gottesdienst, ob evangelisch oder katholisch, ein einziges ‚Gott-wird-Mensch-Spiel‘, eine Aufführung der Kleinheit, der Zartheit und Bedürftigkeit, ja der Angewiesenheit Gottes auf uns Menschen – 
und wir wiederum angewiesen auf Gottes Gegenwart. Im Zusammenspiel aller und in wenigen verständlichen Worten, die sich einprägen. Wow!

Ich höre noch manch Wunderbares, das Joern mit Weihnachten verbindet,
bevor er das Fieberthermometer endlich in Gang gebracht hat.
Wie übergroße Schneeflocken liegen unzählige Schutzkappen am Boden. Meine Temperatur ist leicht erhöht.