„Ihr werdet schon noch sehen, was ihr von eurer Gutmütigkeit habt“, rief Günther mir letztens zu: „Du immer mit deiner Kirche!“
Ich kenne Günther schon von Kindesbeinen an. In der DDR hatte er
einen guten Job, nach der Wende auch. Seinen Kindern geht’s gut, beide im Beruf, und doch meint Günther, es gehe in diesem Land alles den Bach runter. „Ihr werdet schon sehen, wohin das führt mit eurer Willkommenskultur, holt die Ausländer rein und die nehmen uns dann alles weg.“ Wer hat Dir denn wann was weggenommen?, habe ich Günther gefragt. Da war er kurz still. „Naja“, meinte er: „Mir persönlich jetzt nicht so, aber man sieht das doch überall im Fernsehen.“ - „Weißt Du, ich finde es schwierig, wenn Du so etwas sagst, obwohl es Dir selber nicht passiert ist“, sagte ich.
Demokratie am Gartenzaun. Die Gespräche mit Günther sind für mich immer kräftezehrend. Nichts wonach ich mich sehne an einem Wochenende in Thüringen, und vielleicht geht`s Günther genauso.
Es gibt viele, die sagen, Kristin, warum tust du dir das überhaupt noch an, das ist doch ein halber Nazi! Ja, warum? Aber was wäre die bessere Lösung? Ihn abschreiben, ignorieren, gar nicht mehr miteinander reden?Dann macht jeder sein Ding, soll das die Lösung sein?
Zuhören heißt für mich nicht: zustimmen, sondern auch nachfragen: Wie meinst du das? Wo ist dir das denn passiert? Ich finde: Demokratie funktioniert nur im Gespräch. Einander abschreiben oder gar dämonisieren, das ist keine Lösung, und es steht mir als Christin auch nicht zu. Vor Gott ist die Würde eines jeden unantastbar. Und gerade weil das so ist, rede ich weiter mit Günther und schreibe ihn nicht ab. Und bis Gott das letzte Wort spricht über ihn und über mich, solange leben wir hier miteinander und ringen und streiten und können es morgen vielleicht noch besser machen als heute.
Ich glaube, dass Worte etwas ändern können. Ich glaube, dass sich ein Mensch verändern kann und dass ein Gespräch beide ändert. Und deshalb rede ich mit Günther. Deshalb frage ich nach: Wo hast du das erlebt? Wie meinst Du das, wer hat dir was weggenommen?
Es ist meine Art, Mensch zu bleiben und die Mitmenschlichkeit keinen Zentimeter preiszugeben.