12.01
2024
06:50
Uhr

Lebensworte am Zeitungskiosk

Wenn ich an der Bushaltestelle warten muss, nutze ich die Zeit manchmal, um am benachbarten Zeitungskiosk die Überschriften auf den Titelseiten der Illustrierten zu lesen. Gefühlt alle Zweifelfälle des Lebens werden dort behandelt, besonders wenn es um das seelische Wohlbefinden geht. 

Da wird beispielsweise gefragt, ob Arbeit verlorene Zeit ist. Oder wohin die Gier nach immer mehr Geld und Wohlstand führt. Auch heikle Fragen werden aufgeworfen: Was tun, wenn der Ex-Partner nervt. Oder wenn der Neue ein Stubenhocker ist. Eine Frauenzeitschrift fragt gleich ganz direkt: „Lebe ich mein Leben?“ Und gibt im Untertitel gleich eine wenig bescheidene, möglicherweise nicht ganz ernst gemeinte Antwort: „Kinder haben, im Job erfüllt sein und die Welt retten“. 

Hilfsangebote für alle Lebenslagen, das ist das Konzept, das mich zum Kauf motivieren soll. Und es scheint aufzugehen. Manchmal habe ich den Eindruck, je mehr wir allgemein über die Welt wissen, desto größer werden die individuellen Fragen des Lebens. 

Früher war das scheinbar leichter. Meinen jedenfalls viele. Starke gesellschaftliche Konventionen und die Kirche gaben klare Anweisungen für alle möglichen moralischen und unmoralischen Fragen. Heute ist man da zurückhaltender.

Entscheidungen werden aber nicht unbedingt leichter, nur weil ich sie jetzt selber fällen muss. „Herr, wohin sollen wir gehen“, fragten einmal die Jünger Jesu ihren Meister, als sie gerade ganz ratlos waren. Und anstatt die Antwort abzuwarten, sagten sie „Du hast Worte des ewigen Lebens!“ (Johannesevangelium 6,68). Sie signalisierten damit: auf Dich vertrauen wir. Dir folgen wir, auch wenn wir nicht immer ganz genau wissen, wo’s langgeht.

Sowas wünsche ich Ihnen: dass Sie jemanden finden, der Ihnen einen weisen Rat geben kann, oder ein Wort von Gewicht. Vielleicht sind Sie auch selbst so jemand. Ein richtiges Wort zur rechten Zeit macht jedenfalls immer mehr Eindruck, als ein ganzer Kanon von Verhaltensregeln. Worte können weh tun. Sie können aber auch Schlüssel zum Glück sein.