Ich kenne niemand, der sich nicht schon lange auf den Sommer gefreut hat. Endlich ist er da! Nicht ganz ohne Befürchtungen, ob wir es wieder mit qualvollen, vielleicht sogar gefährlichen Hitzewellen zu tun bekommen, haben wir die Winterklamotten in den oberen Schrankfächern oder in Kisten im Keller verstaut. Raus mit kurzen Hosen, T-Shirts, Badezeug und Sonnenbrillen!
Vor einigen Wochen, es war an einem der ersten sonnigen Tage, ist mir etwas Unerwartetes passiert. Eigentlich nur eine Kleinigkeit. Dann hat mich dieses zufällige Ereignis nachdenklich gemacht.
Ich war auf einer Fortbildung und in der Pause strömten alle auf die Dachterrasse. Die Sonne genießen. Gut gelaunt unterhielten wir uns. Eine Teilnehmerin aus der Gruppe zückte ihr Brillenetui. „Entschuldigung,“ sagte sie „ich ziehe jetzt meine Sonnenbrille an.“ Warum sie sich denn dafür entschuldigt, wollte ich verwundert wissen. Sie hätte Probleme mit dem Sonnenlicht, meinte sie. Und gleichzeitig fände sie es unangebracht, während des Gesprächs ihre Augen hinter den Brillengläsern zu verstecken.
Ich war beeindruckt. „Was für ein kluger Gedanke“, gestand ich mir nach einigem Überlegen ein. Die Augen sind die Spiegel der Seele, so sagt man. Ich erinnerte mich daran, wie ich öfter irritiert war, wenn ich mich mit jemandem mit Sonnenbrille unterhielt. Wie ich dann etwas hilflos in dem Gesicht vor mir nach einem Fixpunkt suchte, an dem ich meinen Blick festmachen konnte – aber keinen fand.
Zu meinen Lieblingsstellen in der Bibel gehören Situationsschilderungen, in denen sich Menschen direkt in die Augen sehen. Oder wenigstens habe ich mir diese Begegnungen immer so vorgestellt. Die Texte im Neuen Testament berichten, dass Jesus das sehr gut konnte. Er sah jemanden an, sagte ein paar Worte, nur das Allernötigste, und dann passiert auch schon das Entscheidende.
„Er sah einen Mann mit Namen Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Und Matthäus stand auf und folgte ihm nach.“
Einander in die Augen sehen. Es kommt vor, dass man sich damit schon alles Wesentliche erzählt hat. Ohne dass ein einziger Satz gefallen ist.