„Völlig losgelöst“ – das sang Peter Schilling 1982 – auf dem Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle. Major Tom heißt das Lied. In diesem Jahr war es oft zu hören – als Werbesong zur Fußballeuropameisterschaft. Das war ja das Lebensgefühl für eine kurze Zeit im Sommer: völlig losgelöst. Schwerelosigkeit. Davon können wir nur träumen. Die Schwerkraft hat uns wieder. Sie bestimmt unser Leben. Ohne sie würden wir nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Ohne sie auch keinem Ball hinterherlaufen.
Viel zu selten bin ich dankbar dafür, über zwei Beine und zwei Füße verfügen zu dürfen.
Und Fußballspieler wissen: Ein Bein dient als Standbein, das andere als Spielbein. Das wechselt bei jedem Schritt.
Mit dem Spielbein wird alles Wissen und Können auf die Probe gestellt.
Denn es traut sich was. Alles ist möglich:
Ziele verfolgen, Spaß haben und Siege erleben. Manchmal auch: Ziele nicht erreichen, an etwas scheitern, aber trotzdem immer frei und beweglich bleiben.
Dass das Spielbein sich austoben kann – dafür sorgt das Standbein.
Es verleiht Sicherheit, bietet einen Standpunkt, der uns nicht umfallen oder aus dem Gleichgewicht geraten lässt. Wichtig gerade jetzt. Ich merke, dass ich diesen Halt, diesen Stand jetzt brauche, wo so vieles unsicher und unübersichtlich ist.
Es gibt viele Menschen mitten unter uns, die keinen Stand haben. Die nicht wissen, was sie glauben sollen. Die das Gefühl haben, nichts tun zu können, machtlos zu sein, kein Gehör zu finden in dieser Zeit und im Stimmengewirr der Nachrichten und Informationen auf social media.
Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung vom Juni zeigt, dass sich etwa jeder zehnte Mensch in Deutschland einsam fühlt. Wie viele Polizistinnen und Polizisten erzählen mir davon, dass zu Hause niemand wartet, wenn sie nach der Schicht nach Hause kommen. Sie können mit niemandem teilen, was sie während ihres Dienstes erlebt haben. Es fehlt damit die Möglichkeit, auch Belastendes zu teilen und auf diese Weise zu verarbeiten.
Einer trage des Anderen Last, heißt es in der Bibel. Das ist es, was oft fehlt. Die Möglichkeit, sich anzuvertrauen, zu spüren, dass geteiltes Leid wirklich nur noch halb so schwer wiegt.
Wir brauchen einander. Auf einem Bein steht es sich eben auch nicht so sicher wie auf zwei Beinen. So wie der Wechsel zwischen Standbein und Spielbein für Balance sorgt brauchen wir einander, um den Leben eben auch etwas Spielerisches abzugewinnen. Ohne Spielbein kein Spiel. Und ohne Standbein keine Stabilität. Gemeinsam. Nicht allein. Wir brauchen einander.