Ich laufe durch die Cottbusser Straßen. Von der Gertraudtenstraße, wo ich wohne, Richtung Sprem, so heißt die Cottbuser Fußgängerzone. Rechts und links Häuser, Fenster, Gardinen. Ich stelle mir vor, wer hier wohnt. Wer hier lebt. Menschen wie ich, die essen und schlafen, lieben und streiten, zusammen feiern oder einsam sind. Was genau hinter dem Vorhang passiert, weiß ich nicht. Das ist privat. Aber ich ahne es. Denn ich wohne auch in einem dieser Häuser.
Das Staunen darüber habe ich von meinem Vater. Immer, wenn wir im Urlaub früher eine Kirche besichtigten, sagte er: „Was würden diese Steine alles erzählen, wenn sie reden könnten?“ Bis heute fasziniert mich dieser Gedanke, was die Häuser und was insbesondere unsere Kirchen schon alles erlebt haben. Wie viele Menschen wurden hier getröstet. Wie viele Menschen haben hier ihr Leid geklagt. Wie viele Menschen wurden hier getauft, konfirmiert, getraut. Wie viele Menschen sind hier Gott begegnet.
Ich gehe weiter über den Altmarkt. Fast stolpere ich über einen Stein. Direkt vor meinen Füßen liegt er, Gold glänzend in der Sonne, die von seiner goldenen Oberfläche reflektiert wird. Vor wenigen Tagen wurde er frisch poliert. Zwei Blumen liegen daneben. Ich bleibe stehen und lese: Hier wohnte Pauline Krautz geb. Rehnus, Jg 1890, verhaftet 1938, Frauengefängnis Cottbus, gestorben an den Haftfolgen 16.9.1941.
In vielen europäischen Städten sind solche Stolpersteine zu finden. Weit über 100.000 wurden bereits verlegt. Und es kommen immer wieder neue hinzu. Sie liegen vor Wohnhäusern und ich frage mich, was die Menschen hier erlebt haben. Gegen das Vergessen liegt der Stein vor mir.
„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege“ lese ich in Psalm 119. Die Stolpersteine sind solche Lichter der Erinnerung. Sie rufen dazu auf, das Licht weiterzutragen, das Gott in jeden von uns gelegt hat. Ich glaube fest daran, dass auch wir selbst diese Leuchte in der Welt sein können, wenn wir im Geist der Liebe, des Mitgefühls und der Verantwortung handeln.