21.10
2024
06:50
Uhr

Quellen

Ein Beitrag von Thomas Steinbacher

Meine Frau und ich fahren im Urlaub gern Fahrrad. Am liebsten an Flüssen entlang. So haben wir schon Donau, Main, Isar, Weser, Altmühl und Mosel erfahren – im wahrsten Sinn des Wortes. Tolle Landschaften, interessante Dörfer und Städte. Mir als Stadtmensch tut das gut: die Bewegung, schwitzen und strampeln, in die Pedale treten, und dabei die Seele baumeln und die Gedanken fließen lassen. In diesem Jahr, Anfang Oktober, sollte es der Havelradweg sein. Und so steigen wir am Montagmorgen in den Regionalexpress und fahren von Berlin nach Kratzeburg. An der Quelle soll es losgehen. Und die plätschert da mitten im Wald im Müritz-Nationalpark. Es ist herrlich! Eine herzförmige Quellschale ist in den Boden eingelassen, aus der blubbert das glasklare Quellwasser. So wie man sich eine Quelle eben vorstellt.
Als Pastor kann ich nicht anders – ich denke sofort an diesen Text aus der Bibel, wo die Quelle als Bild verwendet wird: als wunderbar poetische Beschreibung eines Menschen, der für andere zur Wasserquelle wird. Da heißt es: „Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wirst du sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ Ein bisschen so fühle ich mich beim Anblick schon: lebendig und frisch.


Nachdem wir uns an der Havelquelle sattgesehen und auch einen Schluck gekostet haben, schwingen wir uns wieder auf die Räder und folgen der jungen Havel. Sie beginnt wie alle Flüsse: als kleines Rinnsal, das schnell zum Bach anschwillt. Am Abend landen wir nach 70 Kilometern in Fürstenberg. Da ist die Havel schon zu einem breiten Fluss geworden, auf dem die Schiffe fahren. Sie hat auf ihrem Weg Seen durchquert und kleinere Nebenflüsse aufgenommen. Und später dann, hinter der Stadt Havelberg, wird sie in die Elbe münden und mit ihr in der Nordsee aufgehen.
Das ist es wohl, was mich auf dieser Fluss-Radtour so reizt: Das Wasser erzählt was über‘s Leben: Dass ich mich aus einer Quelle speise – welche sind es eigentlich? Dass ich klein begonnen habe und dann gewachsen und hoffentlich reicher geworden bin an Erfahrungen und größer an Möglichkeiten. Das nichts bleibt, wie es ist: Alles ist im Fluss. Auch unser Leben. Und am Ende geht es ein in etwas viel Größeres – glaube ich.